DIE ZEIT, Ausgabe 07, 2008
Von Marcus Stölb | © DIE ZEIT, 07.02.2008 Nr. 07
Wer aus der Ferne auf die Rheinenge zwischen St. Goar und St. Goarshausen schaut, der sieht ein nationales Heiligtum. Die Loreley! Der berühmte Felsen, die Nixe, die mit ihrem Gesang die Schiffer ins Verderben lockt, und Heines Zeile »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten…«. Doch es gibt noch einen anderen Blick auf diesen Ort. Bernhard Roth, Bürgermeister von St. Goarshausen, weiß genau, was die Rheinenge ihm bedeuten soll. »Dort drüben blüht das Gewerbe, und wir bleiben abgehängt«, klagt Roth – »und das, obwohl wir auf der Sonnenseite liegen.« Binnen einer einzigen Generation habe sich die Einwohnerzahl von St. Goarshausen halbiert, gerade mal 1482 Bürger seien übrig geblieben. Und aus Bernhard Roths Sicht gibt es für seinen Heimatort nur eine Rettung: eine Brücke über den Rhein.
Gab es das nicht gerade schon einmal? Ein spektakuläres Flusstal, Weltkulturerbe, wie es auch die Loreley seit 2002 ist – und Lokalpolitiker, die mitten in diese Landschaft eine Brücke bauen wollen? Noch ist der Konflikt um die Dresdner Waldschlösschenbrücke ungelöst, da droht der nächste Streit. Schon hat sich der Internationale Rat für Denkmalpflege (Icomos) zu Wort gemeldet, der die Unesco in Fragen des Denkmalschutzes berät. Eine Brücke bei St. Goarshausen werde das einmalige Landschaftsbild des Mittelrheintals zerstören, warnt Icomos-Präsident Michael Petzet. Dass überhaupt darüber nachgedacht werde, im »Herzen dieser Kulturlandschaft« eine Verbindung über den Fluss zu schaffen, findet Professor Petzet schlicht »unmöglich«. Sollten diese Pläne verwirklicht werden, sei der Status des Welterbes akut gefährdet.
Ganz wie in Dresden sind freilich auch die Lokalpolitiker von St. Goarshausen durch solche Argumente nicht zu beeindrucken. Für Bürgermeister Roth ist der Icomos-Professor Petzet ein »Schreibtischtäter«, ein Ahnungsloser, der nicht weiß, worüber er redet. Und sei nicht, auch dies ein wohlbekanntes Argument, der ganze Status eines Weltkulturerbes ohne Weiteres entbehrlich? »Mir hat bis heute niemand sagen können, wie viele Menschen denn extra wegen des Welterbes hierherkommen«, sagt der Bürgermeister.
Die Handelskammer klagt über Umwege von 70 bis 100 Kilometern
Es geht in diesem Streit nicht nur um seinen kleinen Ort. Zwischen Koblenz und Mainz gibt es keine einzige Brücke über den Rhein, klagt der Hauptgeschäftsführer der Koblenzer Industrie- und Handelskammer, Hans-Jürgen Podzan. »Außerhalb der Fährmöglichkeiten fallen deshalb Umwegfahrten von 70 bis 100 Kilometern an«, weshalb sich aus seiner Sicht jeder Vergleich mit der Auseinandersetzung um die Waldschlösschenbrücke verbietet. In Dresden, sagt er, gebe es ja bereits mehrere Brücken; das Mittelrheintal hingegen brauche nun einen »echten Brückenschlag für Wachstum und Beschäftigung«.
Natürlich gibt es auch am Rhein Verteidiger des ungestörten Landschaftsbilds. In diesem Fall sitzen sie am anderen Ufer. In St. Goar, nicht zu verwechseln mit St. Goarshausen, freut man sich über die klaren Worte des Denkmalschützers Petzet. »Er spricht uns aus der Seele«, sagt Roths Amtskollege Walter Mallmann. Er sei »kein Brückengegner«, betont der Bürgermeister von St. Goar mehrfach, um dann ausführlich zu erläutern, weshalb keine der diskutierten Varianten und Standorte akzeptabel sei. Und damit auch gar kein Zweifel an seiner Entschlossenheit aufkommt, einen Brückenschlag im Tal der Loreley zu verhindern, formuliert Mallmann eine Kampfansage: »Wir würden ansonsten sämtliche Folterwerkzeuge der Raumplanung auspacken.«
Doch die Planung für eine Rheinquerung ist inzwischen vorangeschritten. Laut Mainzer Verkehrsministerium wurden drei Brückenvarianten und eine Tunnellösung geprüft. »Nach unserer Einschätzung würde die Unesco in direkter Sichtbeziehung zur Loreley keine Rheinbrücke akzeptieren«, erklärt ein Ministeriumssprecher, daher sei, »wenn überhaupt«, eine Brückenvariante wenige Kilometer flussabwärts »wahrscheinlich«. St. Goars Bürgermeister Mallmann kontert: »Da ist ein Hotel geplant, und man wird denen ja wohl schlecht eine Brücke vor die Nase setzen können.«
Aus Sicht der Landesregierung käme auch ein Tunnel in Betracht, eine Lösung, die in Dresden ebenfalls erwogen und als zu teuer verworfen wurde. Bislang werden die Kosten eines Loreley-Tunnels auf mehr als 72 Millionen Euro geschätzt, gegenüber 40 Millionen Euro für die Brücke.
Nur eines ist am Rhein anders als an der Elbe. »Den Verlust des Welterbe-Status wird Rheinland-Pfalz im Gegensatz zu Sachsen nicht riskieren«, versichert man in Mainz. Noch im Februar werden Vertreter der Unesco im Tal der Loreley erwartet. »Die Landesregierung wird sich intensiv auf den Besuch der Gutachter vorbereiten«, kündigt das Verkehrsministerium an.
Doch ein Kompromiss scheint schier aussichtslos. »Ich sehe nicht, wo es hier eine Lösung geben soll«, sagt Icomos-Professor Petzet. Seine Organisation habe maßgeblich dafür gesorgt, dass das Obere Mittelrheintal in die Liste der Welterbestätten aufgenommen wurde, und schon damals habe er deutlich gemacht, »dass eine Querung dann nicht mehr infrage kommt«, sagt Petzet. »Ich kann deshalb nur dringend raten, das Thema nicht weiterzuverfolgen.«
»Hitler wollte hier auch schon eine Brücke bauen«, sagt der Fährmann
Und wenn weder Brücke noch Tunnel gebaut wird? Für Klaus Hammerl wäre das ein Segen; seine Fähre, die Loreley VI, bliebe dann die einzige Verbindung zwischen St. Goar und St. Goarshausen. Als Hammerl sein Schiff in Auftrag gab, hatte er größte Mühe, noch einen Kredit zu bekommen – »wegen der Brücke«. Dennoch lässt der Streit den Fährmann kalt. Schon seine Urahnen malochten im 16. Jahrhundert als Fährknechte, die Wurzeln seines Familienbetriebs reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück; einen wie ihn bringt so schnell nichts aus der Ruhe. »Klar wäre das für meine Existenz bedrohlich«, sagt er, »aber Hitler wollte hier auch schon eine Brücke bauen.«
DIE ZEIT, Ausgabe 07, 2008
Von Marcus Stölb | © DIE ZEIT, 07.02.2008 Nr. 07