Welcher Teufel mag rheinische Lokalpolitiker geritten haben, mitten im Dresdner Brückenstreit die Pläne für eine Brücke an der Loreley hervorzukramen? Oder war es Unbedarftheit? Wenn zwei reife Kölnerinnen in Jörg Pilawas populärem Fernseh-Quiz lange grübeln, ob Kaiser Augustus, König Herodes oder ein ominöser Pontius Pilatus zum Sprichwort „Hände in Unschuld waschen“ gehöre, wenn also Fundamentalkenntnisse unserer Kultur abhandengekommen sind, was außer Werbung sollen da Politiker in St. Goar und St. Goarshausen noch mit dem Begriff „Kernlandschaft der deutschen Romantik“ verbinden?
Zwischen den beiden Städtchen im „Oberen Mittelrheintal“, das die UNESCO 2002 zum Weltkulturerbe erklärte, soll die immer wieder einmal geforderte „Rheinquerung“ erfolgen; mit einer 40 Millionen Euro teuren Brücke oder einem fast doppelt so teuren Tunnel. Wirtschaftliche Erfordernisse werden angeführt. Als wäre nicht schon haarsträubend oft bewiesen worden, welchen Schaden Bauen unter dem Diktat kurzfristiger Wirtschaftsinteressen anrichtet: Heere von Baudenkmälern und ganze Landschaften haben der Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder im Namen der Wirtschaftlichkeit und Verkehrstüchtigkeit vernichtet. Die Schrecken gipfelten Anfang der sechziger Jahre im Abriss des „Wirtshauses im Spessart“ bei Rohrbrunn, das die Novelle des Romantikers Wilhem Hauff unsterblich gemacht hatte zugunsten einer Autobahn – und 1980 in Idar-Obersteinin der Zubetonierung der Nahe, an deren Ufern es gewachsen war.
Nun also die Loreley, die man für so unantastbar hielt wie das Elbtal.Gilt der Dresdner Titel als Kompromiss, der die Landschaft einbegreift, weil die Stadt in Folge ihrer Zerstörung 1945 nicht als Gesamtes ausgezeichnet werden konnte, so ist das mittlere Rheintal eine Kulturlandschaft im buchstäblichen Sinn. Welterbe wurde sie wegen der Verschmelzung von Kultur mit Natur, historischen Bauten und Burgruinen mit den von Steilfelsen und Rebhängen umsäumten Schleifen des Stroms, der hier atemberaubende Panoramen schaffend durch das Gebirge bricht.
Hundert brückenfreie Kilometer Rheinstrecke, ein vergleichseise winziger Abschnitt zwischen Mainz und Koblenz – als die UNESCO den Titel verlieh hatte die deutsche Sektion der Debkmalpfleger von Icomos sie, aber auch die Anlieger darauf hingewiesen, dass dieser Zustand bewahrt werden müsse. Kommunalpolitiker, die 2002 jubelten und nun eine Brücke fordern, wissen also, was sie tun. Trotzdem sei ihnen gesagt: Wer an der Loreley eine Brücke baut, verhält sich wie jemand, der die berühmten Loreley-Gemälde von Begas und Steinle mit der Axt bearbeitet.
Beim brückenlosen „Herz der Romantik“, so protestiert nun Icomos-Direktor Michael Petzet zähle „der Fährbetrieb zum Charakter der Kulturlandschaft“. Er solle, wolle man nicht den UNESCO-Titel verlieren, ausgebaut werden. Inzwischen hat auch der Deutsche Kulturrat reagiert: „Der Titel Weltkulturerbe“, so sein Geschäftsführer Olaf Zimmermann, ist mehr als ein touristisches Gütesiegel. Er zeichnet eine Region oder Kulturstätte als dauerhaft bewahrenswert aus. Daraus ergibt sich eine unvergängliche Verpflichtung. Das Beispiel Dresden zeigt, dass leider nicht immer mit der notwendigen Sensibilität (damit) umgegangen wird.“
Doch auch die Verteidiger des Mittelrheintals drehen sich im Teufelskreis. Hält doch Michael Petzet den Brückenfreunden entgegen, dass die Ernennung zum Weltkulturerbe für das Mittelrheintal auch „eine außerordentliche wirtschaftliche Bedeutung hat“. Ein Wettrennen um größere Wachstumszahlen und höhere Profitraten? Wer da den kleinen Finger reicht, riskiert die Hand. Nein, die Loreley und das Mittelrheintal sind vorrangig eine Kulturlandschaft, die, wie uns die Romantik gezeigt hat, in ihrer Brückenlosigkeit ein jedermann verständliches und berührendes Symbol für die Macht der Natur und des Schicksals darstellt. Hier müssten Wirtschaftlichkeitsfanatiker schweigen.
Doch daran zu glauben hieße die „Blaue Blume“ für bare Münze zu nehmen: Noch nie, außer 1964, als eine Schnellstraße bei Eltville auch dank flammender Appelle von Karl Korn in dieser Zeitung verhindert wurde, hat man die Strangulierung des Rheins durch Straßen, Gleistrassen und Brücken aufhalten können. Am Ende dürfte es so kommen wie in Dresden. Eine Brücke verstümmelt die Kulturlandschaft – und alle waschen ihre Hände in Unschuld.
Quelle: FAZ vom 24.01.2008 Dieter Bartetzko