Attentat auf das Rheintal

Während in Dresden munter an der Waldschlösschenbrücke weitergebaut, der Ausschluss des Elbtals aus dem noblen Kreis der Unesco-Welterbestätten also mit Brachialgewalt herbeigezwungen wird, provoziert jetzt auch eine zweite deutsche Kulturlandschaft – das Obere Mittelrheintal – die Aberkennung des Welterbetitels. Und wieder ist ein geplanter Brückenbau der Anlass des Konflikts. Seit einigen Jahren ist bekannt, dass das Land Rheinland-Pfalz im burgenreichen Rheindurchbruchstal zwischen Bingen und Koblenz, also in der mit Sagen und Mythen am dichtesten belegten Landschaft Deutschlands, eine Straßenbrücke errichten will, um so die auf 60 Kilometern Länge voneinander getrennten, nur durch Fähren verbundenen Regionen besser miteinander verknüpfen und den Bewohnern des rechten Rheinufers eine Direktverbindung zum Flughafen Hahn spendieren zu können.

Brücken müssen eine Landschaft nicht unbedingt zerstören: Es gibt Brücken, die eine Flussregion auf imponierende Weise zieren; ja viele von ihnen stehen selber unter Denkmalschutz. Was wäre beispielsweise die Stadtansicht von Regensburg ohne die auf zahlreichen Bögen auf sie zuhumpelnde mittelalterliche Donaubrücke. Auch an einigen der schönsten Stellen im Rheintal könnte man sich eine ähnlich flache Steinbogenbrücke zwischen zwei Ortskernen vorstellen. Doch der Schiffsverkehr auf dem Rhein verlangt moderne Brücken, die in hohem Schwung den Strom überqueren, dabei weit über den Häuserhorizont der anliegenden Ortschaften hinaufsteigen, beim Einfädeln in die hart am Ufer verlaufenden Straßen aber kompliziert gekurvte Auffahrtsbauten benötigen.

Das Tal als Schneise

Um den Entlastungseffekt der geplanten Brücke im Rheintal zu optimieren, wollten die Regionalplaner ihr Wunschobjekt ungefähr auf halber Strecke zwischen Koblenz und Bingen postieren und dabei zwei ins Rheintal hinunterführende Straßen miteinander verbinden. So kam man auf die Idee, die beiden durch den Rhein getrennten Ortschaften St. Goar und St. Goarshausen über eine Brücke aneinanderzukoppeln und so das tief eingeschnittene Rheintal, das bis dahin ein unüberwindliches Verkehrshindernis war, zur Durchfahrtsschneise umzuformen. Dadurch würde viel zusätzlicher Verkehr und Lärm in die geschützte enge Welterbelandschaft gepumpt werden. Vor allem aber würde durch die Brücke mit ihren weit ausholenden Zugangskurven eine der aufregendsten und bestkonservierten Partien des Tals massiv beschädigt werden. Von der Spitze der Loreley könnte man das Monstrum zwar noch nicht sehen, doch bei einer Fahrt rheinabwärts würde man unmittelbar nach Passieren des berühmtesten deutschen Felsens die beiden korrespondierenden Städtchen mit den krönenden Burgen Rheinfels auf der einen und Katz und Maus auf der anderen Seite des Rheins entdecken. Dass sich zwischen diesen beiden Bilderbuch-Ortschaften eine Autobrücke hoch über den Rhein schwingt, muss jedem, der die Situation kennt, wie purer Frevel vorkommen.

Das rheinland-pfälzische Verkehrsministerium hat denn in seiner Ankündigung der Wettbewerbsergebnisse die drei Siegerentwürfe jeweils nur mit Bildern aus großer Höhe dargestellt; sie idyllisieren das Objekt unten im Tal zu einem erträglich flachen Monument. Im Gegenzug hat die internationale Denkmalschutzorganisation Icomos die Brücke des Siegers, des irischen Büros Heneghan Peng Architects, aus der Höhe der Uferpromenade dargestellt. Dabei wird klar, wie die in einem gigantischen S-Schwung den Rhein überfliegende Konstruktion mit ihren wulstigen seitlichen Fachwerkversteifungen den Luftraum im Tal und die Ansicht der gegenüberliegenden Kulturlandschaft dominieren würde. In Mainz glaubt man mit diesem Entwurf die durch Dresden vorgewarnte Unesco zum Einlenken bewegen zu können. Doch zu befürchten ist, dass das Rheintal durch eine Brücke bei St. Goar nicht nur viel von seiner landschaftlichen Einzigartigkeit, sondern auch seinen Status als Erbe der Menschheit verlieren wird.

Quelle: sueddeutsche.de – GOTTFRIED KNAPP

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